
Niklaus Brantschen: «In der Verschiedenheit kommt die Einzigartigkeit zutage.»
Niklaus Brantschen SJ im Gespräch mit Johanna Di Blasi
🌀 «Ich habe zwei Teile der einen Seele, die zusammengekommen sind: der westliche, christlich geprägte Teil mit der Beziehung zu Jesus Christus und die östliche, zenbuddhistisch geprägte Seite in mir; und die verstehen sich wunderbar.»
JOHANNA DI BLASI: Du bist als junger Jesuit nach Japan aufgebrochen und die Welt des Zen-Buddhismus ist immer mehr auch zu deiner Welt geworden. Wie muss man sich diese Verbindung von Christ und Zen-Meister vorstellen?
NIKLAUS BRANTSCHEN: Ich wurde einmal in einem Gespräch gefragt: «Was sind Sie jetzt? Sind Sie Christ oder Buddhist? Oder so eine komische Mischung von beiden?» Meine Antwort war: «Ich bin Niklaus Brantschen und möchte das immer mehr werden.» Noch bevor ich das Etikett Christ oder Buddhist oder was auch immer aufgeklebt bekomme, habe ich meine Identität als Mensch, als Walliser, als Schweizer, als Jesuit. Jetzt mit über 80 ist es schön für mich, dass ich, wenn ich in der Kapelle sitze und Eucharistie feiere, mein buddhistisches Gewand nicht ausziehe, sondern ich behalte es an. Ich habe zwei Teile der einen Seele, die zusammengekommen sind: der westliche, christlich geprägte Teil mit der Beziehung zu Jesus Christus und die östliche, zenbuddhistisch geprägte Seite in mir; und die verstehen sich wunderbar.

JDB: Es gibt im sehr schönen Zendo des Lassalle-Hauses einen Altar mit Buddha. Und es gibt daneben die christliche Kapelle mit dem Altar, wo die katholische Messe gefeiert wird. Sind das ein und derselbe Altar für dich?
NB: Nein, das sind zwei. Das sind auch zwei Orte. Das ist das mit Reismatten sehr schlicht und einfach gestaltete Zendo. Da wird meditiert und intensiv Zen praktiziert. Wir achten auf die Weise, wie wir präsent sind. Wir machen nichts und wollen nichts erreichen. Das ist ja das Besondere. Wir wollen wirklich gar nichts. Es geht nicht darum, irgendetwas zu werden oder zu erreichen, sondern schlicht zu erwachen aus der Illusion des Getrenntseins. Und diese Erfahrung muss ich nicht verleugnen, wenn ich in der Kapelle Messe feiere. Das verbindet sich wunderbar.
JDB: Wenn Du die Messe feierst, kommt da eine zusätzliche oder andere Dimension hinzu?
NB: Zusätzlich eben nicht, eine andere
Dimension schon eher. Es ist nicht so, dass
ich, wenn ich mein Wesen erfahre und existenziell weiss: «Aha, ich bin und darf sein»,
noch etwas dazu holen müsste, sozusagen
als Krönung, sondern dann kann ich diese
Erfahrung mit dem Christusgeschehen
ganz leicht in Verbindung bringen; mit: «Ich bin das Leben, ich bin der Weg, ich
bin die Wahrheit.»
JDB: Hat das Christliche auch in der Zen-Dimension Platz?
NB: Im Zen finde ich das nicht. Wenn ich die Christusdimension kennenlernen oder erfahren will, dann gehe ich nicht unbedingt meditieren. Aber wenn ich meditiere, wende ich mich der Christuswirklichkeit zu, entdecke und erfahre sie tiefer, also umgekehrt. Das hat mir übrigens mein Lehrer Yamada Roshi genauso gesagt: «Ich kann Ihnen sagen, wie man Zen praktiziert und wie Sie zu einer Erfahrung kommen. Was das für Sie als Christ bedeutet, das müssen Sie selbst herausfinden.»
JDB: Wie haben sich die Rahmenbedingungen für interreligiöse Experimente wie das Lassalle-Haus, das Du aufgebaut hast, verändert? Ist es heute einfacher als beispielsweise in den 1970er oder 1980er-Jahren oder schwieriger?
NB: Die Offenheit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil war in den Kirchen allgemein größer als heute. Ich glaube sagen zu dürfen, aus den Begegnungen der letzten Jahre in der Schweiz, aber auch in Deutschland und Österreich, dass eine gewisse Angst spürbar ist, eine Tendenz auch fundamentalistischer Art. Es herrscht das Gefühl: Wir müssen bewahren, wir dürfen uns nicht verlieren. Das ist verständlich. Wenn man weniger wird, hat man Angst, sich zu verlieren. Man rückt näher. Man pocht sozusagen auf das Eigene und schaut nicht mehr über den Zaun. So gesehen meine ich, dass die Grundstimmung anders ist. Vor dreißig Jahren war mehr Offenheit spürbar, mehr Aufbruchstimmung.
Ich spüre jetzt gelegentlich auch Resignation. Diese Tendenzen des Rückzugs und der Angst aber sind der Feind der Begegnung, der Feind des Lebens überhaupt. Meine Antwort ist: Man muss es machen und dann geht es. Es begegnen sich diese Kulturen, Religionen, in einzelnen Menschen, in Gruppen. Da muss ich nicht mehr beweisen, dass es geht. Es geht! Die Zeit ist reif für diese neue Sicht der Wirklichkeiten. Es geht nicht um Religionen. Religionen haben keinen Selbstzweck. Traditionen, spiri- tuelle Traditionen existieren nicht für sich. Wenn wir wirklich die Bereitschaft haben, uns zu verbinden, Ost und West, Nord und Süd, und auch Afrika mit seinen Religionen, dann können wir einen Beitrag leisten für eine gerechtere, friedvolle Welt.
JDB: Welche Art von Verbindung kann das sein, wo doch sogar die konfessionellen Unterschiede oft Barrieren sind?
NB: Konfessionen und Religionen sind verschieden, jawohl. Aber wenn sie tief genug geht, kann die Einheit bei aller Verschiedenheit als tragend erfahren werden. Dann kommt das dritte Moment dazu: die Einzigartigkeit. Aufgrund der Einheit und der Verschiedenheit kommt auch die Einzigartigkeit zutage, nicht nur zwischen Konfessionen und Religionen, sondern auch zwischen Menschen. Je tiefer wir uns begegnen, desto klarer erfahren wir die Verschiedenheit und auch die Einzigartigkeit.
[Erstmals erschienen in der von mir herausgegebenen Ausgabe von «Kunst und Kirche. Magazin für Kritik, Ästhetik und Religion» zu Interspiritualität, 2023]

ZUM NACHHÖREN:
🌀 Mit Niklaus Brantschen habe ich beim 2. RefLab-Podcastfestival 2025 in Zürich eine Live-Podcastaufnahme zu seinem Buch «Du bist die Welt. Schamanischer Weisheit auf der Spur» gemacht.
🌀 Über unsere Veranstaltungen «Um Himmels willen Schamanismus!» im Rahmen des RefLab-Podcastfestivals berichtete reformiert.
🌀 Weitere Podcasts: «In der Mystik können wir uns begegnen» (2022) über seinen interspirituellen Werdegang
🌀 Und 2022 zu Brantschens Buch «Gottlos beten»: «Gott loslassen - um Gottes willen!».
